Beobachtungen: Geht so Weiterbildung?

 

Zukunft der Weiterbildung BuschbacherViele Bildungsexperten und Personalentwickler haben jetzt am Jahresende wieder viel zu tun. Das Bildungsprogramm für 2017 muss dringend fertig gestellt werden. Dazu gehört, dass man Themen findet, Trainer engagiert und Verträge anfertigt- aber auch die entsprechenden Räume und das dazugehörige Catering bucht.

 

 

Bildungsprogramme und Bildungsprozesse

Wenn wir Bildungsprogramme und Bildungsprozesse in Unternehmen analysieren und bewerten, kommen wir sehr häufig zu dem Entschluss, dass die bewährten Vorgehensmuster der letzten Jahre wieder kopiert und auf die Folgejahre übertragen werden. Die gleichen Trainer, dieselben Themen, die identischen Lehr- und Lernformate und manchmal noch eine Innovation in Form einer gut gemeinten kollegialen Beratung oder eines internen Zukunftsevents.

Wie praxistauglich sind solche Weiterbildungsangebote der internen Akademien, während wir beobachten, dass sich Produkte und Dienstleistungen, aber auch die Unternehmen selbst und deren Organisationseinheiten enorm verändern? Ist es noch zeitgemäß, Schulungen nach dem Fließbandprinzip anzubieten oder ist dies evtl. auch ein Relikt aus einer Zeit, in der Massenfertigung in den Firmen noch zeitgemäß war?

Viele Unternehmen wollen hochindividualisierte Produkte und Dienstleistungen anbieten und die Diskussion um die Losgröße 1 besteht nicht erst seit diesem Jahr. Die Weiterbildung fristet dagegen ein teilweise jämmerliches Dasein und hat mit einer zukunftsfähigen Personalentwicklung nicht viel zu tun.

 

Stellen wir uns einmal vor…

Auch in Zukunft wird es noch die Veranstaltungen in seminaristischer Form geben, an der alle zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort kommen und Informationen vermittelt werden. Eindeutig zu erkennen ist allerdings schon jetzt, dass sich schon einige Unternehmen mit der Individualisierung der Lehr- und Lernprozesse beschäftigen und versuchen, individuelle Lernpfade und Lernstrecken zu entwickeln, anzubieten und durchzuführen. Dass dies einen wesentlich höheren Aufwand verursacht, als ein Seminarprogramm für ein Jahr und die gesamte Organisation zu erstellen, ist selbstredend und für viele eine willkommene Entschuldigung am vermeintlich Bewährten festzuhalten.

Viele Führungskräfte haben am Jahresende bzw. am Jahresanfang auch wieder die spannende Aufgabe, zusammen mit ihren Mitarbeitern deren Weiterbildungsthemen für das kommende Jahr zu besprechen und den Bildungsbedarf zu erheben. In manchen Firmen hat das Thema Bildung auch einen Incentivcharakter und endet nicht zu selten in einem florierenden Bildungstourismus zu den angesagten Hotels, den schönen Lokationen z.B. in Schlössern, an Seen oder teuren 5* Hotels. Es werden zusammen mit den Mitarbeitern Pläne entwickelt und überlegt, welche Schulung, welches Seminar oder welcher Workshop interessant wären und dann wird entweder intern gebucht oder die Mitarbeiter bei externen Bildungsanbieter angemeldet.

 

Wer weiß, was der Mitarbeiter benötigt

Nicht zu selten haben wir erlebt, dass Mitarbeiter zu Weiterbildungen angemeldet, werden aber nur einen Bruchteil der Inhalte für die tägliche und zukünftige Arbeit benötigen. Wäre es nicht besser, die Entscheidung über die Weiterbildung den Mitarbeitern selbst zu übertragen? Jeder Mitarbeiter ist doch selbst für seine Beschäftigungsfähigkeit verantwortlich und nicht der Abteilungsleiter, die Führungskraft oder die Personalentwicklung – sie können die Rahmen dafür schaffen, aber nicht die Verantwortung dafür übernehmen. Was allerdings über Jahre praktiziert wurde, dass die Führungskraft über die Weiterbildung und die Entsendung entscheidet, ist nicht über Nacht änderbar. Es bedarf einer Kulturveränderung in der Weiterbildung und alle Mitarbeiter sollten dazu ermutigt werden, selbstgesteuert zu erkennen, welche Veränderungen auf den eigenen Arbeitsplatz, die Abteilung und das Unternehmen zukommt, um daraus Rückschlüsse für die eigene Weiterentwicklung zu ziehen.

 

Praxisbeispiel

Ein Unternehmen mit dem wir zusammenarbeiten, geht wie folgt vor, um den Bildungsbedarf der Mitarbeiter und des Unternehmens zu erheben und zu ermitteln:

Im ersten Schritt wurden sogenannte Inhouse Learning Consultants von uns ausgebildet. Diese Personen ermitteln in ihren Bereichen zusammen mit den Führungskräften die Veränderungen, welche auf die Bereiche und das Unternehmen einwirkt. In einem weiteren Schritt führen sie Interviews mit den Mitarbeitern durch um mehr über deren Bedürfnisse und Herausforderungen am Arbeitsplatz zu erfahren. Diese Interviews sind enorm wichtig, um passgenaue und individuelle Bildungsangebote entwickeln zu können. In einer ersten Interviewphase wurden insgesamt 90 strukturierte Interviews geführt und folgende überfachlichen Punkte (Auszug) wurden erfasst:

 

  • Wunsch nach Bildung und Wissen genau dann, wann es benötigt wird. (Workplace Learning und on demand Learning)
  • Entdeckendes Lernen, welches die Möglichkeit gibt, etwas auszuprobieren und zu testen um dann sofort eine Rückmeldung zu erhalten (SAP Software, Umgang mit neuer Technologie im Forschungsbereich)
  • Die Auffindbarkeit und Erreichbarkeit von Experten im Unternehmen soll erleichtert werden (Aussagekräftige Yellow Pages statt statisches Intranet)
  • Ein „Google“ für Wissen im eigenen Unternehmen wäre wünschenswert (weg von Teamrooms in Sharepoint und hin zu „schönen“ Austauschumgebungen)
  • Interaktive Beispiele und Videos am Arbeitsplatzrechner statt klassischen E-Learning Kursen die häufig nur „durchgeklickt“ werden. (weg von PDF Dokumenten und hin zu mehr Mulitmedia)
  • Bedarf an Wissen und Information, die einen hohen Bezug zur täglichen Arbeit haben (Was benötige ich wirklich und welches Wissen ist irrelevant?)
  • Individuelles Trainieren, welches genau auf meine Bedürfnisse eingeht, meinen Wissenstand aber auch mein Lerntempo berücksichtig
  • Wunsch nach Austausch mit dem Trainer auch nach dem Training z.B. über WhatsApp (eine geringe Hürde zu Wissensträgern wurde mehrfach genannt)

 

Profil der Inhouse Learning Consultants

Für die Qualifizierung der Inhouse Learning Consultants entwickelten wir einen mehrwöchigen Blended Learning Kurs, der in den Onlinephasen viele Webquests und Aufgaben enthielt um eine Vielzahl an Kompetenzen zu erreichen bzw. zu vertiefen. Die Qualifizierung dieser Personen ist ein wichtiger Baustein im Gesamtkonzept und es wurden allen Beteiligten schnell klar, dass diese Aufgabe nicht von Führungskräften oder der Personalentwicklung allein wahrgenommen werden kann, da dies die zur Verfügung stehenden Ressourcen dieser Kollegen erheblich überschritten hätten. Ein wichtiger Baustein in der Qualifizierungsreihe war z.B. die Erhöhung der Beratungsqualität und der Umgang mit den unterschiedlichsten Hierarchien, da solch ein Vorgehen bisher noch nicht implementiert war.

Auswahl von Trainern

Im nächsten Schritt rekrutierten wir Trainer und Kollegen, die sich auf eine neue Art der Wissensvermittlung und der Begleitung von Lernprozessen und Lernstrecken einließen. Auch diese Aufgabe stellte uns vor einige Herausforderungen, da das klassische Training vor Ort im Seminarraum mit einer Gruppe von angemeldeten Kollegen nicht mehr stattfand und damit die Berechnungsgrundlage (Tagessatz * Trainingstage) für die Trainer nicht mehr gegeben war. Zudem mussten die Trainer geschult werden um fit für die Aufgabe als „Always on -Trainer“ zu sein. Hier griffen wir auf unsere bewährten Ausbildungsgänge zum Live Online Trainer und zum Blended Learning Designer zurück, welche die Trainer mit großer Neugier und viel Engagement durchliefen.

In den unterschiedlichen Workshops wurden die Trainer und Trainerinnen dann auch auf ihre zukünftigen Aufgaben vorbereitet und sensibilisiert. Auch der Punkt der Vergütung und des Leistungsnachweises wurde intensiv mit den Trainerkollegen besprochen und es wurden gemeinsam Lösungen gefunden, die für alle Beteiligten wirtschaftlich interessant sind. Uns hat dies gezeigt, dass sich einige Trainer gern auf einen neuen Weg machen und die Chancen von solch neuen Systemen anerkennen und darin auch enorme Chancen sehen. Dass viele Trainer, die sich nicht auf neue Formate der Weiterbildung einlassen und weiterhin an reinen Präsenzveranstaltungen festhalten, auf Dauer nicht beschäftigungsfähig sein werden, liegt in der Natur der Sache.

 

Erste Ergebnisse

Nachdem alle Vorbereitungen, die Qualifizierungen der Trainer/-innen abgeschlossen und die Prozesse sauber definiert waren, sammelten wir die ersten Erfahrungen mit dem System der individuellen Weiterbildung im Unternehmen. Der Aufwand ist beachtlich – die ersten Ergebnisse jedoch auch. So berichteten einige Teilnehmer von einem hochindividuellen Lernerlebnis mit einer enorm hohen Transferrate. Selbstverständlich berichteten einige Kollegen auch, dass ihnen der Austausch mit anderen Teilnehmern z.B. in Kaffeepausen fehlt und weiterhin wünschenswert wäre. Einige Führungskräfte erkannten, dass das System der individuellen und selbstgesteuerten Weiterbildung durch die Mitarbeiter zukunftsfähig ist, andere Führungskräfte fühlen sich übergangen und ihnen fehlten Kontrollinstrumente. Sicherlich können wir derzeit noch kein ein abschließendes Ergebnis präsentieren – dies wird sich erst im Laufe der Zeit ergeben und gern berichten wir hier weiter über die Erfahrungen und Ergebnisse des Projekts „Individuelle Weiterbildung“.

 

Beitrag in der Zeit: Chefs interessieren sich zu wenig für Weiterbildung

Und hier noch ein Lese- bzw. Linktipp zum Thema Next Generation Learning

Vodafone Stiftung: Lebenslanges lernen